„Nichts ist älter und von größerer Autorität als die Natur“

William Harvey

Naturrituale

Der lateinische Begriff natura Geburt, dem Wesen der Dinge – stammt von nasci –  entstehen, entspringen, seinen Anfang nehmen, herrühren – und dem griech. physis – Wachstum. Es bezeichnet allgemein alles lebendige Sein im Ganzen, im Universum. Wir definieren Natur als alle komplex miteinander verwobene Lebendigkeit auf der Erde und in ihrer Atmosphäre, die sich selbst organisiert und nicht von Menschen geschaffen ist.

Mit dem Naturverständnis gehen heute die Sichtweisen zwischen Nutzung und Erhaltung auseinander. Begriffe wie Ökosysteme, Biodiversität, Umwelt (-zerstörung und -schutz), Artenvielfalt (oder -verlust) und Klima (-katastrophe) klären uns auf, wie es um unser Er-Leben mit der Natur bestellt ist. Wir teilen auf, was zusammengehört – in biotische und abiotische Natur, zu letzterem werden Steine, Flüssigkeiten und Gase gezählt.

Rituale in der Natur, die schon unsere Vorfahren begangen, lösen unsere Versachlichung und Spaltung von Natur auf und führen zu unseren Wurzeln des Menschseins. Dass alles zwischen Himmel und Erde lebendig, beseelt und ansprechbar ist, war einst fest im Wissensschatz der Menschheit verankert. In indigenen, schamanischen Kulturen werden noch heute Krankheiten als Ungleichgewicht zwischen Mensch und anderen Kräften, Wesen behandelt und wieder ausbalanciert. Pflanzen- und Tiergeister werden verehrt, die fliessenden Grenzen zwischen den Arten und Wirklichkeitsebenen ist bewusst und Teil der schamanischen Medizin. Unsere keltischen und germanischen Vorfahren veranschaulichten Naturkräfte als personifizierte sich wandelnde Gottheiten, und noch heute gibt es heilige Stätten, Quellen oder Bäume.

Mit zunehmendem Fortschritt lernten wir das Leben – Natur – rationaler, aufgeklärter und auf unseren materiellen Wohlstand zentriert neu zu sehen. Wir sind fort-geschritten vom Zeitalter des Gleichgewichtes (Holozän) zum Zeitalter des Anthropozäns, in der die vom Menschen geschaffene unbelebte Materie als Masse größer als die belebte Biomasse geworden ist. Mit dem Wort „Umwelt“ haben wir uns nur noch eine uns umgebende Welt geschaffen, aus der wir uns als Mensch herausgehoben und ihr übergeordnet sehen. Wir nutzen und plündern natürliche Ressourcen ohne Grenzen und ohne Beachtung der natürlichen planetaren Gleichgewichte. Die Folgen werden heute zunehmend global spürbarer.

Naturrituale fördern ein neues Miteinander mit uns und der Natur. Sie sind ein Plädoyer für eine lebendige „Mitwelt“ in der wir leben – als Teil dieser Welt. Sie heben uns aus der Schnelltaktung und den Spannungen des Alltags heraus und hinein in eine lebendige Schöpfung. Sie verbinden uns mit den Landschaften, den Pflanzen, den Tieren, den Steinen, den Gewässern und lassen uns diese bewusst erleben. Sie stärken unsere Beziehungen mit allem, was nicht menschlich ist, wodurch wir resilienter werden. Sie machen uns bewusst, worauf wir angewiesen sind: Nahrung, Kleidung, Schutz, Rhythmik, Werden und Vergehen, Energie, Gemeinschaft, Vielfalt und Anpassung.

Wir können unsere Verbindung mit der Natur erneuern, sowohl in kleinen Gesten im Alltag als auch über mehrstündige feierliche Handlungen bis hin zu mehrtägigen Visionssuchen. Naturrituale kannst Du mit Dir und der Natur und auch in einer Gemeinschaft begehen. Ein Naturritual ist archaisch und schafft einen sakralen Raum, in dem sich die Seele der Natur manifestieren kann. Dies geschieht auch durch schamanische Methoden, in der durch feierliche Handlung tiefere Dimensionen in andere Wirklichkeitsebenen erlebbar werden. In diesen können wir Pflanzen- und Tier-Geistern (Devas), den Ahnen und anderen Wesenheiten begegnen und mit ihnen kommunizieren. Wir begegnen dadurch nicht nur dem Ort heilsam, an dem das Ritual stattfindet, sondern auch uns selbst.

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